»Daseinsfürsorge« ist ein von Ulla Unlust / Annegret Altersarmut am Lehrstuhl Experimentelles Radio der Bauhaus-Universität Weimar entwickelter, ortsunabhängiger Agit-Audioseeds-Walk aus einer dystopischen Welt. Im Jahr 2050 aus einem jahrelangen Koma erwacht, werden die Hörer*innen von einem Kollektiv namenloser Sprecher*innen an Orte der öffentlichen Daseinsfürsorge begleitet, wie sie heute in allen kleineren und größeren Städten existieren. Die Stationen sind in unserer Ausstellung »ON AIR. 100 Jahre Radio« auf neun Stelen verortet und können dort durch QR-Codes aufgerufen und angehört werden.

 

Die Viren sind da. Die Viren bleiben da.

Wir sind da. Sind wir füreinander da?
Wer bleibt da?
Wer ist da?
Bleiben wir alle gemeinsam da?
Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge.

Wie machen wir das jetzt, mit uns, und den Viren?
Komm mit, geh hin, hör zu.
Vielleicht ist alles gar nicht so schlimm, wenn wir füreinander da sind.

Ein ortsunabhängiger Agit-Audioseeds-Walk.

 

Dein Intro

»Aus der Höhle ins Helle. Was brauchst du? Was hast du?«

Koma. Schläuche, Essen, Trinken, körperliche Bedürfnisse. Alles gedeckt. Auf einmal voll wach, wieder da, neugeboren? Was jetzt? Was brauchst du, was hast du? Leute! Auf einmal dein Pflegezimmer voll Leute. Sie nehmen dich mit. Nach Hause? Brauchst du nicht mehr als das, ein Zuhause?


Dein Krankenhaus

»Um das Leben zu genießen, musst du am Leben sein.«

Das war mal ein Krankenhaus, dann eine Sterbestube, jetzt ein Pflegehaus. Jede*r kann rein, jede*r wird gepflegt, überall auf der Welt. Wer oder was oder wie “krank” oder “gesund” ist, das hat sich gewandelt. Wie gepflegt wird, hat sich radikal verändert. “Geleistet” wird weiterhin, aber anders.

Dein Drogeriemarkt

»Ich hab früher auch nie so viele lächelnde Menschen gesehen. Vor allem nicht beim Einkaufen.«

Täglich Zähne putzen – und eben Infektionsschutz. Langweilig, steril, nervig? Nach einigen Virenwintern ist das Infektionsschutzregal gut sortiert. Alles da: Kondome mit Erdbeergeschmack, Kussfolie, oder Distancing Bubbles für das nächste Open-Air-Festival.


Dein Park

»Wir sollten nur noch draußen schlafen, an der frischen Luft.«

Was mal Brache war, ist heute Park. Die Stadt durchzogen von Inseln ohne Verkehr. Blumen, Sonnensegel, Schlafbänke, Kletterparcours, Vogelhäuschen, alles, für alle. Viele kleine und große luftige Wohnzimmer außerhalb der eigenen engen vier Wände.


Dein Friedhof

»Abschiedsfeiern sind die besten Feiern.«

Auf dem Friedhof finden die besten Partys statt. Nach Beerdigungen ertönen Lieblingsplaylists und taucht der Friedhof in ein Meer aus GIFs, Lichtern, tanzenden, wiegenden Körpern. Abschiedsfeier mit Abstand! Es könnte ja jede*r der*die Nächste sein.


Deine Brücke

»Kein Schlagbaum. Keine Kontrolle. Keine Probleme.«

Die Brücke der Brücken. Ein kleiner Bruch, der Freiheit verspricht, ein Augenblick Verbindung und Verständnis. Die Brücken sind da, um sie zu überqueren. Eine Brücke die ins Nichts geht, eine Brücke die keine ist, was sollte das denn. Die Brücke ist Bereitschaft – bist du bereit für die Brücke?


Dein Rathaus

»Wir packen jetzt jeden Moment am Schopf.«

Im Rathaus Räte, Treffen, Entscheidungen, Taten. Verantwortung verdrängen? Verantwortung abstreiten? Zurücklehnen? Geht nicht mehr. Vom repräsentativen Gebäude zum Gebäude der täglichen Anstrengung und Aushandlung. Und Melde, Gurken und Bananen.


Dein Zuhause

»Vielleicht lagst du die ganze Zeit in einem surrealen, wachen Traum.«

Du bist Zuhause angekommen. Früher warst du hier oft allein, jetzt weißt du, dass du es eigentlich gar nicht bist, niemals warst. Hast du dein Leben jemals allein auf die Reihe gekriegt? Wann hast du das letzte Mal jemanden getröstet? Wann hat dich das letzte Mal jemand umarmt?


Dein Museum

»Die besten Quallen-GIFs!«

Das Museum ist ein Lagerraum, eine Sammelhalle, ein gut sortiertes, lebendiges Archiv. Davor so ein bisschen Louvre, Glas, Panzerglas. Emotionen austauschen, offene Kommentarspuren, hybrid, mit öffentlich kuratierten Flächen.. Teuer? Nein. Das ist es einfach wert.

Über ioha

 

Bild zeigt ioha

Annegret Altersarmut, Ulla Unlust a.k.a. ioha gestaltet unter verschiedenen Aliassen künstlerische Texte, (Bewegt-)Bild, Ton und Installationen. Besonderes Interesse widmete sie in ihren letzten Arbeiten der Verwebung psycho- und sozialpolitischer Fragen, Subkultur und (Land-)Arbeiter*innenkultur. Aktuell als Studierende im Master of Fine Arts Medienkunst- und Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar.
www.ioha.info // post@ioha.info

Foto: Larissa Barth

 

 

 

Credits

 

Idee: Ulla Unlust, Annegret Altersarmut

Text, Ton, Schnitt, Master: Johanna Ledermann

Sprecher*innen:
Alina Bach, Paulina Rübenstahl, Hannah, Daniel Moreno, Linda Keck, Paula Gürtler, Sandra, Moritz Deutschländer, Yolanda Ruechel, Isabel Bülter, Dean Ruddock, Johnny Reiser, Ines Wassermann, Anna Petersen, Alina Metz, Marko Hörschelmann, Ja Ne, Doreen Smolensky, Andreas Stosch, Henriette Freitag

Musik im Drogeriemarkt mit freundlicher Erlaubnis: Bogislaw (Ketzerpop, Leipzig)
soundcloud.com/bogislaw
www.youtube.com/channel/UCzmsgb3idFNffkxCHRbpQSA
ketzerpop.bandcamp.com

Layout/Desgin: Nike Kuschick
nikekuschick.com

“Daseinsfürsorge” ist im Sommersemester 2020 am Lehrstuhl Experimentelles Radio von Prof.in Nathalie Singer im Kurs ShiftFM_Audioseeds & Agitwalks mit Fabian Kühlein und Jörg Lukas Matthaei sowie mit soundtechnischer Beratung von Astrid Drechsler entstanden.