Gerne denken wir an Eröffnungsabende im Museum zurück: Mehrere Jahre Arbeit an einer Ausstellung liegen hinter uns, bei der Planung, Produktion und beim sogenannten »Einbringen« der Objekte in ihre Vitrinen ist alles gut gegangen – unseren Besucher*innen wird eine neue Ausstellung präsentiert. Und dann erntet man die Freuden, in Form von Lob, Kritik, dem Austausch über Inhalte und der Begegnung im Ausstellungsraum. Bei »ON AIR. 100 Jahre Radio« war – wie so vieles im Jahre 2020 – alles ein wenig anders. Die »heiße Phase«, die letzten Arbeiten in den Monaten vor der Eröffnung, sowie die Eröffnung selbst und anschließend die Laufzeit der Ausstellung waren geprägt von der Corona-Pandemie: Homeoffice, geschlossenes Museum, Veranstaltungen nur im kleinsten Kreis. Unsere Direktorin Anja Schaluschke erinnert sich an die frühen Tage der Pandemie in Deutschland und an die rettende Funktion des Radios in dieser Zeit:

»Am Freitag, dem 20. März 2020, stand ich gegen neun Uhr morgens an meinem Küchenfenster und schaute in den Hof. Seit einer Woche hatte das Museum wegen der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen und ich war im Homeoffice. Eine beispiellose Situation. Wann wir wieder öffnen würden, war nicht absehbar. Niemand wusste, wie sich die Pandemie weiter entwickeln würde. Im Radio lief ›You’ll never walk alone‹ von Gerry and the Pacemakers und ich fühlte mich seltsam getröstet. Denn nicht nur mein favorisierter Radiosender spielte das Lied, sondern rund 180 Sender europaweit. Für einen Moment war ich verbunden mit Menschen in ganz Europa, die zur selben Zeit dasselbe Lied wie ich hörten. In der erzwungenen Isolation der Pandemie führte das Radio uns zueinander und ließ uns nicht allein. In unerwarteter Weise bestätigte sich damit eine unserer Thesen zur Ausstellung ›ON AIR‹, die sich damals in der Erarbeitung befand: ›Radio lebt!‹

Radio begleitet und baut Brücken – seit über 100 Jahren. Eine Besucherin vor der Fotoinstallation »100 Jahre, 100 Fotos«; Foto: Kay Herschelmann

Die europaweite Aktion ist heute Teil einer Hörstation im Ausstellungsbereich ›Ätherbrücken. Wenn Radio verbindet‹. Hier finden sich Radiogeschichten, die uns aufzeigen, wie Radio gefühlt und auch real Brücken schlagen kann, beispielsweise über den Suchdienst, der nach dem Zweiten Weltkrieg Vermisstenmeldungen via Radio in die Welt schickte. Das sogenannte ›Gastarbeiterradio‹ sendete in der Muttersprache der Arbeiter*innen und aus Berlin kommt die Initiative ›radio connection‹, deren mehrsprachiges Programm unter anderem von geflüchteten Menschen für geflüchtete Menschen in Deutschland gemacht wird – natürlich auch für alle anderen. Radio ist ein Medium, das über das Gehör oft direkt in die Herzen der Menschen geht. Mich berührt Radio auf unterschiedliche Weise, sei es durch eine spannende Bundesligakonferenz, ein fesselndes Interview oder eine kurzweilige Reportage. Mit ›You’ll never walk alone‹ konnte mir das Radio in jenem März 2020 in einer von Unsicherheit geprägten Zeit einen Moment Zuversicht geben. Ich bin froh, dass wir diesen Moment mit unserer Ausstellung lebendig halten können.«

Anja Schaluschke ist Direktorin des Museums für Kommunikation Berlin und dem Radio eng verbunden – als Hörerin und Sprecherin.